GREEN BUILDING GROUP – Beobachtungen zur dOCUMENTA (13)

„Es war ein Mann, dem starb seine Frau, und eine Frau, der starb ihr Mann; und der Mann hatte eine Tochter, und die Frau hatte eine Tochter. Die Mädchen waren miteinander bekannt und gingen zusammen spazieren und kamen hernach zu der Frau ins Haus.“

Auf der dOCUMENTA 13 in Kassel, dem Lebensort der Gebrüder Grimm, wird spaziert und gesucht. In der Karlsaue, deren barocke Planung auf die Regierungszeit von Landgraf Karl Ende des 17ten Jahrhunderts zurück geht, hat die Kuratorin Caroly Christov-Bakargiev- ihren Hauptfokus gerichtet. Der Ausstellungsteil lässt sich vielleicht am Besten als Projektpark beschreiben. 52 Positionen sind auf einer Fläche von 1,50 km² verteilt. Eine exkursionistische Zumutung im feuchten mitteldeutschen Sommer. Die einzelnen Exponate haben sehr wenig gemeinsam. Der Ausstellungsort ist das Verbindende und damit auch ein Hauptträger von Information. Zur Orientierung dient eine Karte und zwischen prächtigen Bäumen herumstehende Hinweisschilder, welche in alle Richtungen deuten. Es kommen Frage auf: „Wo bin ich? Wo gehe ich hin?“

Die Location ist klar, es ist der Kasseler Stadtpark, der 2009 ins European Garden Heritage Network aufgenommen wurde. Jogger und Hundebesitzer teilen sich den Park, dazu Kunstschauende, die suchend durch den Park wandeln – immer mit dem Gefühl etwas verpasst zu haben, hinter der nächsten Eiche eine Sensation zu entdecken oder eine intensive Erfahrung machen zu können. So etwa im Haus von Fiona Hall, einer Mischung aus Jagdhütte und Kuriositätenkabinett, oder in der direkten Begegnung mit der italienischen Künstlerin Chiara Fumai, die als Frau mit Bart, wie eine feministische Hexe in ihrer Waldhütte rezitiert. Eine Antwort auf das Hexenhaus der Gebrüder Grimm.

Die zwei Töchter aus dem eingangs zitierten Märchen „Die drei Männlein im Walde“ der genannten Märchenbrüder mit Kassel Bezug machen beide ihre Erfahrungen im Deutschen Wald. Zuerst die eine, dann die andere werden in den verschneiten Winterwald geschickt um dort Erdbeeren zu suchen. Beide treffen auf eine Hütte, in welcher drei Männlein wohnen. Die erste junge Damen ist nett, sympathisch und hilfsbereit. Sie wird belohnt. Die zweite, die Tochter der bösen Stiefmutter, wird ihrer Kälte und Arroganz wegen bestraft. Das Märchen endet mit einem brutalen Happy End. Die erste Tochter heiratet einen König. Die böse Stiefmutter und ihre Tochter wurden in ein Fass gesteckt, „dann ward der Boden zugehämmert und das Fass bergab gekullert, bis es in den Fluss rollte“.

Das Märchen erzählt vom Geheimnis des Waldes, dem „Deutsche Wald“ der als Metapher und Sehnsuchtslandschaft seit Anfang des 19. Jahrhunderts gilt und besondere Bedeutung in der Romantik erfährt. Die frühe Naturschutz- und Umweltbewegung, der im 19. Jahrhundert einsetzende Tourismus, die Jugendbewegung, sozialdemokratische Naturfreunde, Wandervögel und Wandervereine wie auch die rechtsgerichtete Völkische Bewegung sahen im Wald ein wichtiges Element deutscher Kulturlandschaften. Im Nationalsozialismus wurde das Motiv des „Deutschen Waldes“ vergleichbar mit „Blut und Boden“ und fügte sich in das Propagandaprogramm ein. Die Verbindung und Überlappung von Natur und Kultur, von Wald und Kunst in der deutschen Geistesgeschichte ist unterschwelliges Thema der dOCUMENTA (13). Der Wald wird zu einem Ort des Unbewussten, des Suchens, der Entdeckungen, Erfahrungen oder der falsch verstandenen Meditation. Janet Cardiff und George Bures Miller haben auf einer Lichtung eine 3D-Klanginstallation eingerichtet. Auf Stümpfen gefällter Bäume sitzend lauschen die Zuhörerinnen und Zuhörer – meist mit geschlossenen Augen – einem Audiofilm. Anfänglich nehmen sie das Zwitschern der Vögel wahr. Mit der Zeit transformieren sich die Geräusche zu einer Klangkulisse eines Kriegsgebiets. Wald und Krieg sind auch auf historische oder sagenhafte Weise in der deutschen Kulturgeschichte, etwa in der Beschreibung von Tacitus in der Schlacht im Teutoburger Wald verbunden. Aus dem realen Wald, oder besser dem realen, barock gedachten Park macht die dOCUMENTA (13) einen mythischen Ort der Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte und der aktuellen Fragestellungen, wie etwa mit der Time/Bank von e-flux (Julieta Aranda und Anton Vidokle) oder dem Projekt von CAMP, einer Gruppierung von Künstlern und Technologen, die in Mumbai ansässig sind und sich mit alternative Wirtschaftsformen beschäftigt.

Die Kunst muss sich in der Karlsaue ihren Platz, ihre Lichtung, erst schaffen und einrichten. Dies geschieht meist mit kleinen freistehenden Hütten, die zum Großteil als Rahmen und Behälter um die künstlerischen Arbeiten gebaut sind. Sie verliehen ihnen etwas Intimes, Authentisches und auch Geheimnisvolles. Jedes Haus ist als eine eigene Welt zu entdecken, einer Sinnsuche am Monte Veritá (Lea Porsager) gleich. Das Wohnen im Wald, das Leben in und mit der Natur, als Eingebettetsein darin ist als Grundthema mitgegeben. Die Kunst kommt aus dem Wald und geht in den Wald wieder ein. Der Wald, das Holz ist die Materia Prima der Karlsaue. Nicht nur im metaphorischen Sinne. Die Green Building Group, sowie der Grüne Punkt realisierten insgesamt 24 dieser vor allem aus Holz gebauten Ausstellungshäuser. Zusammen mit dem Park und dem ehemaligen Bahnhofsgelände bilden sie die „Nachhaltige Ausstellung“ der dOKUMENTA (13) und stellen einen nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, einen verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Rohstoffen sowie eine umwelt- und klimaschonende Produktion, dar. Als Denkmäler für den „Schutz der Welt“ werden die Häuser nach der dOCUMENA (13) sozialen und kulturellen Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Sie sollen an die großen ökologischen Herausforderungen dieser Zeit und Welt erinnern.

Die Kunst hat in dieser Welt der Vernetzungen und freien Verbindungen ihren Raum, sie ist diejenige, welche nach Vorne und nach Hinten schaut, sie versucht Alternativen zu entwickeln und diese zu verwirklichen, sie bietet Kunsttherapie (Pedro Reyes) Hypnotische Sitzungen (Marcos Lutyens) und zeigt historisch bedeutsame Galgen (Sam Durant). Sie vergewissert sich aber gleichermaßen ihren Herkommens und ihres Untergrundes, eines Bodens der oft problematisch ist und nicht immer ganz eindeutig. Auf diesem Boden wächst nun ein Apfelbaum der ursprünglich als KZ-3 bekannten Sorte, die der Apfelpfarrer Korbinian Aigner im Konzentrationslager Dachau züchtete. Aus dem wilden, unberechenbaren und mythischen Ort des Waldes, wie ihn die Gebrüder Grimm beschreiben, worin Mögliches und Unmögliches geschehen kann wird mit diesem Kunstgriff ein Garten mit historische-aufklärerischem Grundton, der alle Romantik tilgt.

Der Artikl ist in der Kulturelemente 105 erschienen.

Kultur_elemente_Layout_Nr. 105

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