Der hier wiedergegebenen Artikel “Only the Good/Bad[1]” von Hannes Egger ist in den Kulturelementen 95 erschienen.
Samstag, 12. März, 18:53 Uhr. Schlagzeilen im Internet: „Verwüstetes Onagawa
Tsunami-Opfer flohen auf Kernkraftwerksgelände“[2], „Frühlingserwachen Harte Zeiten für Stubenhocker“[3], “Rohöl direkt vom Erzeuger: Seoul drängt an die Quelle“[4], “14 Tote bei schwerem Busunglück in New York“[5], “Tokio – Die Zahl der Opfer des Erdbebens und Tsunamis in Japan steigt und steigt“[6]
Neil Postman[7] beschreibt in seinem 1985 erschienen Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ die kulturellen und sozialen Folgen des Fernsehens. Ähnlich stark wie das Fernsehen prägten seiner Meinung nach die Telegrafie und der Buchdruck die Gesellschaft. Die Telegrafie machte die Information zu einer Ware, die durch den „Äther“ transportierbar wurde und die Beziehung zwischen Handeln und Information auflöste. Dem Buchdruck bescheinigt Postman durchwegs positive gesellschaftliche Entwicklungen. Zunächst musste ein Großteil der Bevölkerung Lesen und Schreiben lernen und sich durchwegs mit komplexen Texten – das meistgedruckte Buch war die Bibel – auseinandersetzten. Es reicht nicht die Buchstaben zu erkennen, durch sie musste hindurchgesehen werden um die wirkliche Bedeutung des Geschriebenen zu erkennen. Im 18. Und 19. Jahrhundert war die abendländische Kultur vor allem am gedruckten Wort orientiert. Sie brachte eine sehr kritische, rationale und politisch interessierte Gesellschaft hervor. Mitte des 20. Jahrhunderts brach das Fernsehzeitalter an und die Unterhaltung begann langsam aber stetig alle gesellschaftlichen, politischen und auch zwischenmenschlichen Bereiche zu dominieren. Das Fernsehen reduzierte das Denken auf ein Minimum, es arbeite mit Bildern und löst Emotionen aus. Die Vermittlung von Wahrheit und Wissen wurde mit Zerstreuung und Oberflächlichkeit anstatt von anstrengendem Denken und Ernsthaftigkeit betrieben. Laut Postman steuerten wir 1985 auf eine verdummte, „schöne neue Welt“ zu.
Das Fernsehen und die damit zusammenhängende Medienindustrie haben begriffen dass schöne Bilder schnell langweilig werden. Das Publikum muss heute mit Sensationsreißern und tabubrechenden Bildern geködert werden. „Bad news are good news“ heißt es in Medienkreisen. Vom Publikum werden negative Nachrichten viel stärker wahrgenommen. Daraus resultiert dass die Gesellschaft vor allem mit negativen Informationen konfrontiert wird. Wir wissen ganz genau, wo ein Flugzeug abgestürzt ist, wie viele Tote es gab, wir kennen die schrecklichen Bilder der aktuellen Katastrophen, dass es aber auch glückliche Momente im Leben vieler Menschen gibt, wird von den Medien kaum rezipiert. Es ist weniger interessant als das Erdbeben, der Tsunami und der Gau.
Das Web-Kunstprojekt „Only the Good/Bad“, der Künstler Karen Ann Donnachie, Antonio Riello und Andy Simionato setzt genau an diesem für die heutige Gesellschaft sensiblen und vielleicht auch bestimmenden Punkt an. „Only the Good/Bad“ ist eine emotionale News-Kartierungsmaschine. Sie klassifiziert die Schlagzeilen von Nachrichtenportalen im Internet wie GoogleNews, Reuter, BBC, oder der AssociatedPress nach emotionalen Gesichtspunkten in gute und schlechte Nachrichten. Die guten Nachrichten werden auf der Seite „Only the Good.org“, die schlechten auf „Only the Bad.org.“ in Realzeit gesammelt. Es ergeben sich zwei digitale Zeitschriften die laufende aktuell gehalten und mit neuen Nachrichten gespeist werden. Zusätzlich bietet „Only the Good/Bad“ einen Seismographen, welcher den emotionalen Stand der gesammelten Nachrichten als Grafik anzeigt. Es verwundert kaum die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Informationen „Bad News“ sind und dennoch oder gerade deswegen bietet das Kunstprojekt eine große gesellschaftliche Chance: Es erlaubt den in der Informationsflut surfenden sich zu entscheiden, mit „Only the Good“ nur gute Nachrichten zu lesen. Es ereignet sich die von Neil Postman prophezeite „schöne neue Welt“, allerdings unter völlig anderen Prämissen als in „Wir amüsieren uns zu Tode“. Die digitale Reality des Internet ist nicht nur vom Unterhaltungswert des Fernsehen bestimmt sondern vor allem von einem Überangebot an Informationen die primär verarbeitet und eingeordnet werden müssen. Der einsamen Surfer vor dem Computer werden dabei vielfach von Horrornachrichten und einer weiten „Unterwelt“ an Gewalt, Sex, Katastrophe, Extremismus und Tod konfrontiert, die manchmal undurchdringlich scheint. Mit „Only the Good/Bad“ haben die Künstler eine Möglichkeit geschaffen une eine Rolle eingenommen, welche Künstler ehemals inne hatten und die ihnen im Laufe der Historie von den Massenmedien abgenommen worden ist. „Only the Good/Bad“ kann das Gefühl der Gesellschaft beeinflussen und zeigt entweder die guten oder die schlechte Nachrichten, je nachdem wie es den mediengewohnten Rezipienten vor dem privaten Laptop, im Büro oder im Internetcafé beliebt. Die Kunst ist dorthin gelangt wo die Gesellschaft sich aufhält und mischt sich genau dort, im digitalen Netz ein.
[5] http://www.suedkurier.de/news/brennpunkte/, 13.03.2011
[6] http://de.news.yahoo.com/schlagzeilen/, 13.03.2011
[7] Vgl. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Fischer Verlag, Frankfurt 1985